BRUTTONATIONALGLÜCK
in unserer Praxis
oder einfach
„PraxisGlück“
Als ich vor ein paar Jahren von Bhutans Konzept des „GNH – Gross National Happiness“ („Bruttonationalglück“) hörte, fühlte ich mich sehr inspiriert und spürte eine Hoffnung auf Veränderung zum Guten.
Schon länger wurde ich nämlich dass Gefühl nicht los, dass unser derzeitiges -vorwiegend auf Wachstum und Gewinnmaximierung ausgerichtetes- Denken und Handeln in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft neben wachsender Naturzerstörung und sozialer Ungleichheit auch noch vielfältiges Leiden auf persönlicher Ebene hervorbringt.
Und da sah ich im GNH eine ganzheitliche, nachhaltige und wirklich sinnstiftende Alternative.
In seinem Buch „Grundrecht auf Glück“ verdeutlicht der langjährige Programmdirektor des GNH-Centers in Bhutan, Dr. Ha Vinh Tho, sehr eindrücklich die Chancen, die dieses Konzept nicht nur für die Landespolitik Bhutans, sondern auch – und gerade – für unsere hiesige Gesellschaft zu bieten hat.
GNH ist ein Ansatz, der uns dabei unterstützen kann, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen allen Aspekten unseres Menschseins anzustreben. Im GNH richten wir unser Augenmerk nicht mehr nur auf Lebensstandard, Zeitnutzung und (Weiter-) Bildungsmöglichkeiten, sondern auch auf unser psychisches Wohlbefinden, unsere Gesundheit, die Lebendigkeit der Gemeinschaft, eine gute Führung sowie auf die kulturelle und auf die ökologische Vielfalt.
In seinem Buch betont Dr. Ha Vinh Tho: „Das Gefühl eine sinnvolle Arbeit zu tun und damit einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, ist ein wichtiger Faktor für das Wohlergehen von Arbeitnehmern und Unternehmen.“
Zunächst dachte ich bei mir: „Nur gut, dass wir als ambulant tätige ErgotherapeutInnen ja eine durchaus sinnvolle Arbeit tun und somit schon unseren wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten.“
Durch den persönlichen Kontakt mit einer bewundernswert großherzigen vietnamesischen Geschäftsfrau, die ihr rund 9.000 MitarbeiterInnen umfassendes Unternehmen seit mehreren Jahren – unterstützt von Dr. Ha Vinh Tho – im Sinne der GNH–Prinzipien ausrichtet und umgestaltet, entstand in mir dann doch der Wunsch, diesen Schritt auch für unsere Therapiepraxis zu wagen.
Ich erläuterte unserem Team den Ansatz von GNH und sprach über meinen Wunsch, die Arbeitsrealität in unser Praxis gezielt an den GNH-Prinzipien auszurichten.
Alle Mitarbeiterinnen zeigten sich sehr offen und aufgeschlossen für diesen Schritt, so dass wir nach geeigneter und kompetenter Unterstützung für die konkrete Umsetzung suchten.
Tatsächlich gelang es uns sogar, Dr. Ha Vinh Tho persönlich dafür gewinnen, uns bei der Neuausrichtung unserer Ergotherapiepraxis im Sinne von GNH zu unterstützen und zu begleiten.
Im Dezember 2019 kam er für einen bewegenden Impulsvortrag und anschließenden Workshop zu uns nach Köln.
Dieses Ereignis markierte den Beginn eines tiefgreifenden und verwandelnden GNH-Prozesses – sowohl für die Praxis als Organisation, als auch für unser Team als Gemeinschaft, sowie auch für jede/n einzelne/n von uns als Persönlichkeit.
Da zum Jahreswechsel 2019/2020 eine sehr deutliche Erhöhung der Gehälter bevorstand, schlug ich vor, dass jede Mitarbeiterin doch zuvor für sich selber überlegen solle, ob denn zusätzliches Geld maßgeblich zu ihrem persönlichen Glück und Wohlbefinden beitragen würde oder ob nicht z.B. eine Reduzierung der Arbeitszeit einen günstigeren Effekt verspräche.
Tatsächlich kam es dazu, dass sich die meisten im Team für eine Kombination aus etwas weniger Arbeitszeit mit etwas mehr Gehalt entschieden.
Seit dem Start unseres GNH-Abenteuers begleitet Dr. Tho unseren Entwicklungsprozess, der uns nach und nach mit grundsätzlichen und elementaren Fragestellungen, sowohl bzgl. unseres ergotherapeutischen Selbstverständnisses, als auch bzgl. unseres gesamten beruflichen Wirkens in Berührung bringt.
Womit wohl kaum jemand von uns gerechnet hatte: Nach kaum einem Jahr war ein erkennbarer Effekt des GNH-Prozesses, dass sich eine vermehrte Achtsamkeit bei uns einstellte, die auch über die rein beruflichen Belange hinausging!
Heute haben wir einerseits ein klareres Bewusstsein dafür, wie wir mit uns selbst und miteinander umgehen wollen und andererseits wächst bei uns allen ein zunehmendes Gewahrsein bezüglich unserer persönlichen und kollektiven Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und unserem ganzen Planeten.
Da der Begriff „Bruttonationalglück“ im Praxisalltag doch ziemlich sperrig und zu unpersönlich klingt, sprechen wir intern einfach vom „PraxisGlück“.